Welche Bilder hast du vor dir, wenn du an Bio-Food denkst? Bei mir erscheinen da glücklich grasende Kühe auf fetten Weiden und tonnenweise frische Äpfel aus dem Hofladen – natürlich umgeben von Feldern und Wald. Eigentlich eine klare Kaufempfehlung! Warum ich trotzdem nicht immer zum Bio-Obst greife, liegt zum einen an den spürbar höheren Preisen gegenüber konventionell angebauten Lebensmitteln und zum anderen daran, dass ich schon hier und da kritische Stimmen aufgeschnappt habe. Ist Bio doch nicht sooo super oder mache ich es mir zu einfach? Grund genug, selbst Recherche zu betreiben!
Was bedeutet eigentlich Bio?
Bevor wir uns der Gegenüberstellung widmen, sollte klar sein, unter welchen Umständen ein Produkt als „Bio“ gelabelt werden darf. Eine glückliche Kuh steht nicht auf der Liste der Kriterien, die EU-weit festgelegt¹ sind, dafür aber u.a. folgende Punkte:
- Die Grundzutaten in Bio-Produkten (Lebensmittel) müssen zu mindestens 95 Prozent aus ökologischem Landbau stammen
- Stickstoff-Dünger und chemische Pflanzenschutzmittel sind verboten
- Keine Geschmacksverstärker oder Farbstoffe
- Verbot von aktiver Gentechnik und Lebensmittelbestrahlung
- Nur ausgewählte Zusatzstoffe sind erlaubt
- Weniger grausame Tierhaltung (z.B. festgelegte Obergrenze an Tieren pro Hektar)
- Tierfutter ausschließlich aus ökologischem Anbau
- Tierfutter darf keine Antibiotika, Wachstums- oder Leistungshormone beinhalten
Die neue Bio-Verordnung und Kritiken
Seit Januar 2022 gilt eine neue EU-Öko-Verordnung für die Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion. Der Bund der ökologischen Lebensmittelwirtschaft hat dazu eine sehr praktische Übersicht² mit den Änderungen erstellt. Dazu gehören eine Ausweitung der Zulassungen von Stoffen und Erzeugnissen wie Pflanzenschutzmittel, Dünger, nicht-ökologische Zutaten bei Lebensmitteln, Futtermitteln und ihren Zusatzstoffen. Zudem gibt es einige Änderungen bei der Kontrolle der Einhaltung und für Importe aus Drittländern.
Auch wenn wir unsere EU-Standards im weltweiten Vergleich zu schätzen wissen sollten, gibt es noch Luft nach oben. Kritiker:innen bemängeln³ vor allem zu wenig Regeln für Nachhaltigkeit und Tierwohl:
- Auch die Bio-Landwirtschaft ist nicht frei von Massenproduktion: Bis 2030 sind in der Etagenhaltung von Hühnern bis zu drei Ebenen übereinander erlaubt (danach maximal zwei Ebenen), immer noch dürfen sechs Legehennen auf einen Quadratmeter gepfercht und insgesamt 3.000 Legehennen in einem Stall untergebracht werden.
- Bio ist nicht gleich regional: Zutaten können aus fernen Regionen und mit beliebig weiten Lieferwegen importiert werden.
- Gemüse und Obst aus ökologischem Landbau ist oft in Plastik verpackt
- Nur ein Teil des produzierenden Betriebes muss auf Bio umgestellt werden
Die Kritiken beziehen sich wohlgemerkt auf die EU-Richtlinien, die oft als “Light-Bio-Version” bezeichnet werden. Du erkennst Produkte, die darunter fallen, an diesen Siegeln (Bilder von Labeln einfügen). Wer sich strengere Regeln wünscht, sollte nach den Siegeln von Bioland, Naturland, Biopark und/oder Ecovin für Wein Ausschau halten. Hier findest du die Kriterien⁴ der verschiedenen Labels.
Wie gesund sind Bio-Produkte?
Einer der wichtigsten Gründe für den Kauf von Bio-Produkten ist die Annahme, sich selbst damit etwas Gutes zu tun: Für 87 Prozent⁵ der Bio-Konsument:innen in Deutschland zählen die (erwarteten) gesundheitlichen Vorteile zu den Kaufgründen. Bio gilt im Volksmund als gesünder (im Vergleich zu konventionellen Produkten).
Wissenschaftliche Uneinigkeit bei Bio-Lebensmitteln
Tatsächlich herrscht hier aber noch Uneinigkeit bei Wissenschaftler:innen: Laut einer Studie der Universität Stanford⁶ gibt es keinen signifikanten Nachweis, dass (nach US-Richtlinien hergestellte) biologische Lebensmittel höhere Werte in Bezug auf Nährstoffe, Vitamine oder Mineralien aufweisen. Lediglich beim Spurenelement Phosphor konnten Unterschiede festgestellt werden. Da nur sehr wenige Menschen hier einen Mangel haben, ist der Benefit allerdings gering. Die Ergebnisse sorgten für Aufruhr. Einige Zeitungen sprachen von der „Bio-Lüge“ oder „Bio-Marketing“.
Antioxidantien in Bio-Lebensmitteln
Das europäische Forschungsprojekt QLIF⁷ konnte schließlich den Ruf von Bio-Produkten wieder in ein gutes Licht rücken. Demnach enthalten Bio-Obst und -Gemüse bis zu 40 Prozent mehr Antioxidantien, die vermutlich das Risiko für Herzerkrankungen und Krebs senken. Diese werden normalerweise von allen Pflanzen als natürliches Pestizid⁸ produziert. Konventionelle Pflanzen fahren die Eigenproduktion automatisch zurück, wenn sie mit chemisch-synthetischen Pestiziden versorgt werden.
Ist Bio weniger giftig?
Durch die menschliche Zugabe von künstlichen Pflanzenschutzmitteln nehmen wir beim Konsum von Nicht-Bio-Lebensmitteln im Schnitt viermal soviel Pestizide⁹ wie bei organisch angebauten Produkten auf. Letztere werden vor allem durch vorbeugende Maßnahmen geschützt: Zum Beispiel werden Wildblumen oft neben Gemüsefeldern ausgesät, um nützliche Insekten heranzulocken, die wiederum unerwünschte Schädlinge beseitigen.
Die meisten biologisch angebauten Früchte und Gemüse weisen keine Pestizidbelastung auf. Dennoch wurde in einer Studie aus dem Jahr 2020 in 48 Prozent¹⁰ der untersuchten Bio-Lebensmittel Pestizid-Rückstände nachgewiesen – auch wenn diese mit weniger als 0.01 mg / kg sehr gering sind.
Das hat mehrere Gründe:
- Pestizide sind beim biologischem Anbau nicht grundsätzlich verboten, jedoch dürfen sie (wie oben erwähnt) nicht chemisch-synthetisch hergestellt sein. Oft werden Kupfer, Schwefel, Bienenwachs¹¹ und Pflanzenöle verwendet. Kupfer steht dabei besonders in der Kritik, denn es kann durch Regen weggeschwemmt werden und Mikroorganismen in Böden schaden.
- Wenn große konventionelle Anbauflächen mit Pestiziden besprüht werden, kann es nur schwer vermieden werden, dass benachbarte Bio-Anbauflächen auch einen Teil davon abbekommen. Dasselbe gilt für den gemeinsamen Warentransport.
- Leider kommt es auch hin und wieder vor, dass Bio-Lebensmittel illegal mit unerlaubten Pflanzenschutzmitteln behandelt werden.
Generell gilt bei Pestiziden: Die Menge macht das Gift. Bisher gibt es nur wenige wissenschaftliche Erkenntnisse über die Langzeitfolgen von Pestiziden im menschlichen Körper. Eine dänische Studie¹² aus dem Jahr 2018 untersuchte die Bevölkerung auf Pestizidrückstände und ihre Auswirkungen. Den Ergebnissen zufolge sind die gesundheitlichen Risiken von Pestiziden bei Erwachsenen (in der Höhe, in der sie durchschnittlich im Körper nachgewiesen werden konnten) gleich mit den Auswirkungen zu bewerten, die durch den Konsum eines Glases Weins in sieben Jahren entstehen. Bei Kindern hingegen ist die Wahrscheinlichkeit von gesundheitlichen Langzeitfolgen deutlich höher.
Glyphosat - das “versteckte” Gift?
Ist Bio-Getreide gesünder als konventionell angebautes Getreide?
Zwischenfazit: Offen gesagt hatte ich mehr Differenzen zwischen Lebensmitteln aus ökologischen und konventionellen Anbau hinsichtlich der gesundheitlichen Aspekte erwartet. Insbesondere die wissenschaftliche Uneinigkeit in vielen Bereichen überraschte mich. Das für mich einzig – wenn auch nicht zu vernachlässigende – Argument für Bio-Lebensmittel ist beim Fokus Gesundheit das Thema Glyphosat (bei dem sich die Recherche inklusive fragwürdiger Lobbyeinflüsse ja fast schon wie ein Thriller liest). Für Konsument:innen, die nicht tagelang mit dem Lesen von Papern und Studien beschäftigt sein möchten, ist es meiner Meinung nach sehr schwierig, eine klare Antwort zu erhalten. Ich hoffe, der Artikel hat dir dabei einen ersten groben Überblick verschafft.
Falls du wissen möchtest, wie sich die beiden Anbauweisen hinsichtlich Nachhaltigkeit und Geschmack unterscheiden und welche Kriterien die alternativen Bio-Siegel beinhalten, dann schau hier gerne öfters rein: Ich werde den Artikel nach und nach ergänzen und freue mich natürlich über deine Anmerkungen in den Kommentaren.
Quellen
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BMEL – Ökologischer Landbau – Die EU-Rechtsvorschriften für den ökologischen Landbau. (2023). Bundesministerium Für Ernährung Und Landwirtschaft. https://www.bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/oekologischer-landbau/aenderungen-oekoverordnung.html
- Übersicht über die neue Öko-Basisverordnung EU 2018/848 und ergänzende Rechtsakte | Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft. (2022, February). Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft. https://www.boelw.de/themen/eu-oeko-verordnung/neues-biorecht/artikel/uebersicht-ueber-die-neue-oeko-basisverordnung-eu-2018-48-und-ergaenzende-rechtsakte/
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Bio-Siegel: Welche Standards gelten für Produkte? | NDR.de – Ratgeber – Verbraucher. (2022). NDR. https://www.ndr.de/ratgeber/verbraucher/Bio-Siegel-Welche-Standards-gelten-fuer-Produkte,biosiegel104.html
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Die wichtigsten Bio-Siegel auf einen Blick | Verbraucherzentrale Hessen. (2020). Verbraucherzentrale Hessen. https://www.verbraucherzentrale-hessen.de/feature/wichtige-bio-oeko-siegel-ueberblick
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Kaufgründe für Bio-Produkte in Deutschland 2022 | Statista. (2023). Statista. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/2419/umfrage/bioprodukte-gruende-fuer-den-kauf/
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